Defizitäre Beschreibungen erscheinen in der Szene der Sozialen Arbeit eher als verpönt: es wird empowered, gewertschätzt, positiv konnotiert, an Stärken oder Ressourcen angeknüpft, reframed und was es sonst noch so gibt. Die Sinnhaftigkeit solcher Vorgehensweisen soll hier auch nicht in Frage gestellt oder diskutiert werden.
Doch ich bin mir unsicher, ob Soziale Arbeit ohne die Zuschreibung von Defiziten auskommen kann. Ist nicht die Konstruktion von Fällen an die Beschreibung von Defiziten geknüpft? Was, wenn Sozialarbeiter Defizitkonstruktionen verwenden? In welchen Kontexten sind diese als o.k. beschreibbar? In welchen nicht?
Geht es nicht eher darum zu beschreiben, ob die Strukturen, Handlungsweisen, Sinnkonstruktionen von sozialen Systemen geeignet sind diese nachhaltig am Leben zu halten. Den Austausch mit der Umwelt nachhaltig zu gestalten? Hier kann es meiner Ansicht nach durchaus sein, dass einige zwar JETZT geeignet erscheinen aber nicht für die Zukunft.
Dasselbe kann für die Strukturen und Konstruktionen der Umwelt gelten, die die Zugangsregeln festlegen. Die Regeln für den Austausch zwischen Systemen.
Wenn es Unterschiede zu beobachten gibt, wird man nicht umhinkommen, auch Bewertungen (zu Passungen und Nicht-Passungen) zu beobachten. Die Beobachtung von Unterschieden und die Benennung von Ressourcen/Kompetenzen und Nicht-Ressourcen/Defiziten ist aus meiner Sicht zentraler Bestandteil einer kritischen, gerechtigkeitsorientierten Sozialarbeit.
Auf der Fallebene erscheint es jedoch tatsächlich von Vorteil zu sein, die Profession damit zu schmücken, dass sie berücksichtigt, wer/was das Defizit beobachtet und so benennt. (Wer beobachtet was?)
Lösungsorientierung ist, und an der Stelle möchte ich Ludewig folgen, ganz maßgeblich auf die Unterscheidung Problem/Lösung angewiesen. Auch (oder gerade auch) Lösungsorientierung arbeitet mit Problembildern. Lösungsorientierte Soziale Arbeit trifft jedoch eine grundsätzliche Entscheidung: nachdem ein Problem angeboten wurde, erfolgt eine Konzentration auf Ressourcen und (insbesondere !) Ziele. Für diese Entscheidung gibt es viele Gründe. Der Hauptgrund ist m. E., dass die Konzentration auf Ressourcen und insbesondere Ziele als funktional in Bezug auf die Lösung der Aufgaben/Herausforderungen personaler und sozialer Systeme betrachtet wird. Ganz hervorragend ermöglicht m. E. die Konzentration auf Ressourcen und Ziele die Entwicklung einer für gesellschaftliche Fragen sensiblen, emanzipatorischen Sozialen Arbeit.
Eine Konzentration auf Ressourcen und Ziele klingt erstmal sehr gut und ist für die Fallarbeit sicher aussichtsreich im Sinne einer emanzipatorischen Sozialen Arbeit. Wenn sich Soziale Arbeit allerdings versucht, sich auf mehrere Personen und Systeme samt verschiedenen Interessen, Anliegen, Aufträgen oder Rationalitäten bezieht, dann braucht es auch oft erst (!) die Handlunsgform ‚Moderation‘, um nicht blind zu seien gegenüber individualisierenden bzw. stigmatisierenden Effekten. Diese Effekte sehe ich auch bei ressourcen- und lösungsorientierter Arbeit noch immer potentiell wirksam, da Einzelne implizit oder explizit für ihre soziale Situation verantwortlich gemacht werden.