In der Sozialen Arbeit gibt es nach meiner Beobachtung (vorliegend ein Beitrag von Frank Eger) eine anhaltende Attraktivität, nach dem grundlegenden BA-Studium eine beraterische/therapeutische Weiterbildung aufzunehmen. In der Folge werden scheinbar personenbezogene Themen (bspw. die Schulabstinenz eines Jugendlichen) in die Beratung aufgenommen. Im glücklichen Fall versteht der Sozialarbeiter das Beratungsangebot als „Anregung“ und nicht als Instruktion an die Adresse des zu Beratenden. Castell (2011) moniert dann auch im Hinblick auf klassische Sozialarbeit: »Diese hat einen gesellschaftlich-politischen Auftrag – die soziale Integration ihrer Adressaten zu fördern –, den sie aber in der Form verwirklicht, dass sie daraus ein Problem der Individuen macht und deren persönliche Verhältnisse bearbeitet.« Ich bin zwar der Ansicht, dass der Hinweis von Castell pauschal ausfällt und von Seiten des Jugendsozialarbeiters bzw. Schulsozialarbeiters durchaus auch Veränderungen im organisationalen Bereich (Schulen, Jugendämter usw.) angeregt werden. Grundsätzlich stellt sich aus meiner Sicht jedoch die Frage, ob Sozialarbeiter über den organisationalen Bereich hinaus auch ein Anregungspotential auf Gesellschaft entfalten können. Wer wäre der Adressat dieser Anregung – das Funktionssystem Politik, das Funktionssystem Jugendhilfe (Hansbauer hat die Jugendhilfe als gesellschaftliches Funktionssystem vorgeschlagen) oder Schule ? Kann Gesamtgesellschaft mit den sozialarbeiterischen Themen überhaupt erreicht werden ?
Die potenzielle Fokussierung des sozialarbeiterischen Denkens auf die ausschließlich personelle Zurechnung von Themen und sozialen Lagen erscheint mir in der Tat ein Umstand, der immer wieder neu hinterfragt bzw. reflektiert werden muss.
Ebenso unerlässlich erscheint es mir, dass Soziale Arbeit Wirkungsoptionen in ihren Relationen zu Kooperationspartnern, Auftraggebern, Befürwortern und Kritikern prüft und reflektiert. Die systemtheoretischen Grundbegriffe der Operationalen Schließung (sprich: Was ist die Identität der Sozialen Arbeit?) und der Strukturellen Kopplung (sprich: In welchen überlebenswichtigen Beziehungen steht die Identität der Sozialen Arbeit?) erscheinen mir hier als guter Einstieg in die Reflexion. Leider stelle ich immer wieder fest, dass KollegInnen bereits bei der Frage nach der Identität von Sozialer Arbeit über Formulierungen des „Helfens“ nicht hinauskommen und damit bereits im Hinblick auf weiter gefasste Kontexte ins Schwimmen geraten – geschweige denn eine flexible bzw. adaptive Formulierung liefern. Ich beobachte dann oft den Rückzug auf Selbstvergewisserung, dass man „doch so gute und wichtige Arbeit“ mache, die auch „so belastend“ sei – um den eigenen Wert zu definieren. Ein solches Selbstbewusstsein erscheint mir dann doch sehr wackelig. Da stellt sich mir dann die Frage nach Lehrplänen an den Hochschulen und der Anschlussfähigkeit der dort vermittelten Perspektiven. Scheinbar fällt der Sozialen Arbeit eine ihrer großen Stärken – nämlich die Vielgestaltigkeit ihrer Perspektiven und Arbeitsfelder – hier bei der Identitätsfrage auf die Füße.
Zur Adressabilität von Funktionssystemen und von (Gesamt-)Gesellschaft fällt mir aktuell nur eine Frage ein: Haben die neuerdings eine Adresse?
Ich freue mich auf weitere Beiträge und Kommentare! 🙂
Zunächst ist hier zu betonen, dass den Anmerkungen von Castell und Eger zuzustimmen sind. Es lohnt sich aber, genauer hinzusehen. Denn sie beschreiben eine bestimmte Form der Sozialen Arbeit. Diese Beschreibung aber für die gesamte Soziale Arbeit geltend zu machen, würde auch heißen, Gegenbewegungen zu ignorieren. Nicht zuletzt würde die anwachsende Relevanz der systemischen Sozialen Arbeit vernachlässigt werden.
Meiner Meinung nach besteht die Stärke der Sozialen Arbeit darin, Anregungspotentiale AUF Ebene der Organisationen zu leisten. Alles andere ist ja wie Michi betonte, etwas dings ;). Dies ergibt sich aus folgender Überlegungen: Organisationen haben im Gegensatz zu Funktionssystemen die Möglichkeit mit ihrer Umwelt zu kommunizieren (vgl. Luhmann 1998: 834). Dadurch würde die Sache etwas runder laufen ;).
Wenn es um die Identität der Sozialen Arbeit geht, und hier verlagert sich die Diskussion von einer anderen Rubrik, dann bleibt der Code Helfen / nicht Helfen die meiner Meinung nach sinnvollste ERSTE Unterscheidung, wie das Funktionssystem Soziale Arbeit seine eigenen Operationen operiert (ob man hier schon von Identität sprechen mag, weiß ich nicht). ABER ein Code alleine reicht nicht aus, es braucht Entscheidungsregeln, die festlegen, unter welchen Bedingungen der Wert bzw. der Gegenwert (also hier Helfen / nicht Helfen) zugeordnet wird. Und hier sind wir dann auf der Ebene von Programmen (vgl. Luhmann 1998: 750). Frage nach Lehrplänen an den Hochschulen, der Ökonomisierung von Organisationen Sozialer Arbeit, den theoretischen Ausrichtungen, den Individualisierungsprozessen vs. einer systematischen Perspektive usw. könnte man als Programme verstehen. Aus dieser Perspektive erübrigt sich auch die Frage nach der EINEN Identität.
Es geht mir gar nicht so sehr um die Frage der „einen“ Identität, sondern überhaupt nach Identität – ist das dann das individuelle Thema der Hochschulabsolventen? Die Frage nach der Identität wird dann gerne mit dem Arbeitsfeld beantwortet. Was ist denn unsere Geschichte, die wir anderen erzählen, mit der wir begründen, warum es Sinn machen könnte, darüber nachzudenken, was wir zu bestimmten (gesellschaftlichen) Themen zu sagen haben? Als welche Fachmänner/-frauen/-transgender wollen wir denn angesprochen und angefragt werden?
Na klar erreicht Soziale Arbeit Gesellschaft !
Nicht als abstrakte Gesellschaft (logisch), sondern die konkreten Organisationen der Funktionssysteme, wie Politik, Gesundheitswesen. Diese haben nämlich alle Organisationen geschaffen, an denen sie Kommunikation verdichten. Und diese Organisationen haben alle Telefonnummern.
Wenn Soziale Arbeit Gesellschaft (Funktionssysteme) nicht erreichen könnte, gäbe es keine anerkannte Wissenschaft „Soziale Arbeit“, keine Jugendhilfegesetze, schlicht kein Geld das ständig ausgegeben wird, z. B. in Hochschulen.