Ich arbeite gerade an einer Hausarbeit zur Ökonomisierung der Sozialen Arbeit, die den Diskurs diesbezüglich näher untersucht. Dabei ist mit eine nicht-systemischer-Artikel aufgefallen, 😉 der äußerst diskussionswürdig ist. „Perspektiven der Sozialen Arbeit“ von Roland Lutz skizziert ein neuformuliertes Verständnis über Soziale Arbeit (immer noch „neu“ bzw. „neuer“, auch wenn der Artikel von 2008 ist ;). Bitte lesen. Nicht weil es ein so hervorragender Text ist, sondern weil die darin ausgeführte Reformierung des Sozialen eine systemische Soziale Arbeit meiner Meinung nach unmöglich macht. Denn er beschreibt eine Soziale Arbeit, dessen ökonomisches Programm so mächtig ist, dass andere Programme nicht nur vernachlässigt, sondern dass auch der Code von sozialer Arbeit ausgesetzt werden würde (wie auch immer dieser Code auch heißen mag…) (Bsp. Zwei-Klassen-Sozialarbeit) .
http://www.bpb.de/apuz/31335/perspektiven-der-sozialen-arbeit?p=all
Interessant und für das neue Kundenverständnis dieser Sozialen Arbeit prägend, ist, dass die Soziale Arbeit endlich die „Anerkennung des Anderen“ (Honneth), mit Anderen ist der Kunde gemeint, realisieren soll. Hierbei vertritt er ein Verständnis von Kunde, der individualisiert, als unternehmerisches Selbst dann zu unterstützen ist, wenn er aktivierungswillig ist. Diese Sichtweise ist mir nicht neu, neu ist mir nur, dass hierzu Axel Honneth zitiert wird. Denn Honneth Ausführungen zur Anerkennung basieren auf einem Kampf um Anerkennung und nicht die Anerkennung der Situation/ Strukturen von prekären Lebenslagen. Nicht die absolute Anerkennung der Autonomie des Kunden, sondern die Anerkennung gemeinsamer Werte ist bei Honneth der wesentliche Aspekt, aus dem sich dann durch eine positive Rückbeziehung u.a. Selbstbewusstsein und schließlich Autonomie entwickeln kann. Denn die Lutz´s Interpretation von Honneth´s Anerkennung würde jedes „soziale Band“ zwischen den Menschen zerschneiden.
Oder? Oder nicht? Was sagen die Honneth-kenner? 😉
In völliger Unkenntnis von Lutz und Honneth muss ich trotzdem fragen, wie oder unter welchen Umständen eine systemische Sozialarbeit unmöglich werden sollte?
Eine Unmöglichkeit einer systemtheoretischen bzw. systemischen Sichtweise wäre m.E. nur dann gegeben, wenn der Beobachter die Möglichkeit des „Seins“ von Systemen ablehnt. Solange der Freiheitsgrad der Annahme/Ablehnung von Systemen und deren Umwelten besteht, besteht nach meinem Verständnis auch die Möglichkeit einer systemischen Brille und damit die Möglichkeit einer systemischen Sozialen Arbeit.
Hier anders zu denken, wäre für mich die Aufgabe von Verantwortung und damit auch ein entscheidender Verlust von Autonomie (siehe auch die anderen Posts). Damit würde ich meine angenommenen (denn wer weiß das schon?) Möglichkeiten von Teilhabe, Einfluß, Intervention, Anregung, usw. einfach so verschleudern.
Anders herum könnte man auch fragen: Ist eine Soziale Arbeit, deren ökonomisches Programm so mächtig ist, dass andere Programmkontexte schlicht nicht mehr wirkmächtig sind, denn überhaupt noch als Soziale Arbeit zu bezeichnen?
Erschreckend, was alles im Netz über Soziale Arbeit steht.
Ich finde es beschämend, dass der Dekan eines Fachbereiches Soziale Arbeit in Erfurt (!) als zentralen Kern der Sozialen Arbeit die Aktivierung der Klienten bestimmt. Atemberaubend und keineswegs durch die neoliberale Stimmung im Vorfeld des Jahres 2008 entschuldbar. Der Bezug auf Honneth kann eindeutig als Wissenschaftsdropping gewertet werden.
Honneth hat 2013 umfassend eine völlig andere Sicht der Sozialen Arbeit begründet. Soziale Arbeit ist demnach zur Verwirklichung von Freiheit unerlässlich. Solange Freiheit an die Vorstellung von Selbstbestimmung gebunden wird, bleibt sie im Rahmen einer individuellen Logik. Beinhaltet Freiheit den Zusammenhang auch Freiheit verwirklichen zu wollen, gerät damit die Sozialordnung in den Blick. „Selbstverwirklichung ist auf eine Sozialordnung angewiesen, die reflexiv auf die Herstellung gerechter Verhältnisse zielt. Dafür sind entsprechende Institutionen notwendig. Für Honneth bedeutet das: Gerechtigkeit ist sozial fundiert und die Institutionen sind nicht Ergebnis sondern integraler Bestandteil (Voraussetzung) der Verwirklichung von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.“ (Hosemann, Soziale Arbeit, 2, 2015, S. 47).
Das „Zurechtdeuten“ der Sozialen Arbeit gelingt nur durch eine tendenziöse Darstellung und den Verzicht konkrete Lebenslagen zur Kenntnis zu nehmen.
Jawoll! Die inaktiven Klienten müssen einfach nur mal so richtig aktiviert werden. Die faulen Säcke sollen mal nicht immer der Allgemeinheit auf der Tasche liegen. So eine starke fürsorglich führende Hand hat ja noch niemandem geschadet!!
So, nun hab ich endlich einmal Zeit gefunden, mich an der Diskussion bzw. Kritik zu beteiligen. Zunächst stimme ich Herrn Hosemann völlig überein. Das Zitat von Honneth kann wirklich nur als Wissenschaftsdropping gewertet werden.
Lieber Michi, dein erster Kommentar hat richtigerweise meinen lapidaren Schreibstiel enttarnt. Wörter wie immer, nie etc. sollten nie verwendet werden 😉 (wenn man einigermaßen ernsthaft argumentieren möchte). Es ist auch richtig, dass in Lutz´s Variante von Sozialer Arbeit ein systemischer Blick möglich ist. Ein solcher kann, mit den Annahmen die du getroffen hast, ja meist durchgeführt werden. Was ich gemeint habe war, dass eine systemische Soziale Arbeit keinen Platz in einer Variation von Sozialer Arbeit mehr hat, bei der nur noch der Kunde und dessen Probleme im Mittelpunkt stehen. So wie Lutz die Umwelt des Klienten in seinen Überlegungen aus der Sozialen Arbeit verbannt, verbannt er auch eine systemische Soziale Arbeit aus der Sozialen Arbeit.
Dein zweiter Kommentar lässt darauf schließen, dass du den Text immer noch nicht gelesen hast (ein ganz böses Grinsen 😉 hihihih). Nein, Spaß beiseite.
Bei Lutz geht es nicht um eine Aktivierung, die den Kunden mittels einer „starken Fürsorglichkeit“ erdrückt. Eben dies kritisiert er an der „bisherigen“ Sozialen Arbeit. In wieweit die „tendenziöse Darstellung“ (Hosemann) wirklich zutrifft, kann ja jeder für sich beantworten. Lutz betont überdeutlich, dass die Autonomie des Kunden das höchste Gut ist. Jedoch ist der Autonomiebezug im Kundenbegriff bei Lutz eben nicht gleichbedeutend mit einem freieren Subjekt im Sinne Honneths, Hoseman´s, Eckl´s oder vieler anderer. Die beschriebene Freiheit ist eine Marktfreiheit, bei der der Kunde mit Mitteln ausgestattet wird, mit denen er sich auf dem „Markt der Hilfen“ die Unterstützung kaufen kann, die er benötigt. Er hat die Freiheit zu konsumieren. Diese Perspektive funktioniert auch nur dann, wenn man Zwangskontexte außer Acht lässt, in denen der „Kunde“ sich nicht seine soziale Dienstleistung „bestellen“ kann. Freiheit oder Autonomie heißt bei Lutz eben auch, Selbstverantwortlich zu sein. So können auch Misserfolge oder Rückschläge im Hilfeprozess leicht dem mangelnden Mitwirken oder der geringen Motivation des Kunden zugeschrieben werden. Dies spaltet die Kunden dahingehend, dass es die Aktivierungswilligen gibt, die flexibel, belastbar, motiviert sind, sprich, die dem modernen Menschenbild entsprechen. Vielmehr werden sie im Sinne des „unternehmerischen Selbst“, mittels behavioristischen Verhaltensmodifikationen zu ökonomisch-rationalen, eigenverantwortlichen Subjekten, herangezogen (vgl. Bröckling 2007). In diesem Sinne ist seine Aktivierung zu verstehen und nicht dahingehend, „faule Säcke“ zu zwingen, aktiv zu werden. Die anderen Kunden sind dann die, denen der „Geruch der Armut“ anhaftet (Lutz 2008). Daraus ergibt sich für Lutz eine zwei Klassen Sozialarbeit. Erste Klasse enthält die, die ich gerade beschrieben habe und bei denen Erfolge zu erwarten sind (vgl. Lutz 2008). Der Rest beinhaltet nun „leider“ die „Abgehängten“, die auch irgendwie zu verwalten sind. Arme, unflexible, etc..
Der Beitrag von Lutz erhebt den Anspruch, die „Reformulierung des Sozialen“ zu beschreiben, „Soziale Arbeit als Sozialwirtschaft“ zu fassen und die Neuformulierung der Sozialen Arbeit als „Aktivierende Soziale Arbeit“ auf den Punkt zu bringen (als Zwei-Klassen-Sozialarbeit).
Es geht, nach Lutz, um die „aktivierungspädagogische“ Neuformulierung der Sozialen Arbeit. „Dies lässt sich zwar – kritisch betrachtet – als ein „Erziehung zur Armut“ diskutieren, durch die Menschen für veränderte Bedingungen fit gemacht werden, eben „erzogen“ werden sollen. Aber diese Aktivierung -wie auch immer man sie bewerten möchte – stellt keine besondere Neuerung dar, war sie doch schon immer erklärte Absicht Sozialer Arbeit und stellte (und stellt) damit eigentlich ihren Auftrag dar.“
Die Ausrichtung auf die Klienten (deren inkompetentes Verhalten) blendet systematisch die Verhältnisse aus. Die Rede von der „letztgültige(n) Basis von Gerechtigkeit“ wird hohl. Die Bezugspunkte Autonomie und Befähigung zur Selbstregulierung werden zu Fluchtpunkten aus den konkreten sozialen Verhältnissen. Diese Bezugspunkte überhöhen die „Nicht-Klienten“ in eine patriarchalische Geberposition und entlasten diese von jeder Mitveantwortung für soziale Verhältnisse. Wer Soziale Arbeit an die „Unterstützung“ der Klienten bindet, ermöglicht sich selber entscheiden zu dürfen, was eben gerade für Unterstützung zur Verfügung steht. Wer „Soziale Arbeit“ an die (gegebenen) Möglichkeiten der Klienten bindet, ihre Autonomie zu entwickeln, bindet sie an deren strukturelle Einschränkungen.
In der Tat, eine solches Verständnis von Soziale Arbeit ist nicht neu, sondern sehr, sehr alt.